Der Ruden – Ein kleines Paradies in der Ostsee
Wer sehnt sich nicht ab und an auf eine einsame Insel, auf der sich mit einem kühlen Getränk das tägliche Hamsterrad recht schnell vergessen lässt, auf der die Ruhe in wunderbaren Mußestunden gemessen wird, während das Meer in lauschigen Wellen an den Strand rauscht? Einmal Robinson Crusoe sein und für eine Weile der Welt entfliehen. Für viele Menschen ist das ein Traum.
Doch wie lebt es sich wirklich auf einer einsamen Insel? Was macht man dort den ganzen Tag? Wird es nicht irgendwann langweilig? Oder zu einsam? Oder ist die Einsamkeit vielleicht sogar der Schlüssel zum Glück? Auf welchen Luxus kann man verzichten? Und auf welchen nicht?
Wer all das wissen und noch dazu viele Geschichten über die Natur hören möchte, den lädt das Künstlerehepaar Kerstin Otto und Christian Wingrove-Rogers zu einem Besuch zu sich nach Hause auf den Ruden ein. Die beiden sind die einzigen Menschen, die zusammen mit ein paar Hühnern und ein paar Schafen auf dieser Insel in unmittelbarer Nähe zu Usedom leben. Wer sie kennenlernen möchte, hat derzeit einmal am Tag die Gelegenheit, von Peenemünde oder von Freest aus mit der Apollo Reederei für eine Stunde auf die Insel überzusetzen. Ansonsten ist das Anlanden auf dem Naturschutzgebiet verboten.
Der Ruden ist eine 24 Hektar große Sandbank zwischen Usedom und Rügen im Greifswalder Bodden. Von oben wirkt die Insel mit seinem langen, befestigten Sandhaken wie ein riesiger Trilobit. Ursprünglich war das Eiland mit der Insel Rügen verbunden. Doch eine große Sturmflut überschwemmte die Landbrücke zwischen ihnen. Seitdem ist der Ruden auf sich gestellt. Früher war die Insel eine wichtige Lotsenstation. Denn sie hatte einen idealen Standort für die Kontrolle des Schiffsverkehrs. Der alte Lotsenturm steht – etwas in die Jahre gekommen – noch immer auf einem Hügel.
"Hier zu leben, ist ein echtes Privileg."
Zusammen mit dem Peenemünder Haken und der Halbinsel Struck gehört der Ruden seit 1925 zu einem der ältesten Naturschutzgebiete Deutschlands. Früher haben hier bis zu 80 Menschen gelebt – Lotsenfamilien und später auch Soldaten. Sogar eine Schule hatte es für die Inselkinder gegeben. Heute sind von diesem Inselleben nur noch Ruinen übrig. Denn der Ruden war einige Jahre völlig menschenleer. Seit knapp drei Jahren wohnen dort jedoch wieder zwei Menschen: Kerstin Otto und Christian Wingrove-Rogers.
Früher haben die beiden an Theatern gearbeitet, Filme gemacht und Märchen erzählt. „Ich hätte mir es nicht in meinen kühnsten Träumen vorstellen können, auf einer einsamen Insel zu leben“, lacht Kerstin Otto. Für die DBU Naturerbe GmbH, die seit 2012 Eigentümerin der kleinen Insel ist, kümmern sie sich um den Erhalt des Naturschutzgebietes. Hier schreiben, zeichnen, malen und leben die beiden. „Und das ist ein echtes Privileg“, schwärmt der gebürtige Waliser Christian Wingrove-Rogers, der auf der Insel schon mehrere Bücher geschrieben hat. Er liebt das unmittelbare Erleben der Natur, die stete Veränderung der Insel und die Ruhe. Denn nur einmal am Tag kämen auch andere Menschen zu ihnen auf die Insel. Nach nur einer Stunde Landgang sind die beiden aber schon wieder unter sich.
Mit dem Schiff bekommen sie auch Lebensmittel und alles, was Mann und Frau zum Leben brauchen. Auf dem Eiland gibt es nämlich nicht einmal fließendes Wasser. Das muss in Kanistern auf die Insel gebracht werden. Auch permanenter Strom ist ein Luxusgut. Der Generator wird nämlich durch Solarzellen betrieben. Keine Sonne bedeutet also: kein Strom. Im Winter ist das eine echte Herausforderung, erzählt Christian. „Wenn dann auch der Holzofen nicht funktioniert – und das tut er oft nicht –, wird es frisch“, sagt er. Vier Pullover übereinander seien bislang sein Rekord gewesen. Und trotzdem liebt er das spartanische Leben und die Abgeschiedenheit. Kerstin Otto braucht allerdings alle zwei bis drei Wochen ein bisschen Zivilisation. Um wieder aufzutanken, sagt sie. Dann besucht sie ihre Enkel und lässt Christian komplett allein. Dem mache das nichts aus. „Einsamkeit tut nicht weh“, meint der walisische Robinson.
Neugierig lauschen die Kurzzeitgäste den Geschichten der beiden über ihren etwas anderen Arbeits- und Ehealltag und über die wundervolle Natur der Insel. Denn der Ruden ist ein echtes Paradies. Auf dem zweieinhalb Kilometer langen und knapp 350 Meter breiten Eiland tummeln sich eine Menge Tiere und seltene Pflanzen. Mit etwas Glück schauen Robben vorbei, ein Trauermantel setzt sich auf eine benachbarte Blüte oder Seeadler breiten hoch in den Lüften ihre Schwingen aus. Etwa 250 Vogelarten brüten auf dem Ruden. Auf seinen Streifzügen über die Insel hat Christian die Kamera immer dabei. Seine Tierfotografien sind beeindruckend.
Zusammen mit den Ausflüglern machen die beiden Insulaner auf festgelegten Wegen einen Spaziergang zum einstigen Messturm. Von hier hat man einen wunderbaren Blick über den Greifswalder Bodden. Oben auf der Plattform in der Stille, zu der nur der Wind seine Musik dazu gibt, wird er plötzlich spürbar, der Frieden, von dem Christian schwärmt. Und die Vorstellung, eine Weile in dieser Einsamkeit zu verbringen, ist verlockend.
Sandra Grüning - Redaktionsteam UsedomTravel
Ich bin Küstenkind. Durch und durch. Mein Herz schlägt für das Meer und die Insel, den Wind im Gesicht und die Weite im Blick. Doch mindestens genauso sehr liebe ich das Schreiben. Denn schreiben bedeutet Leben für mich. Seit vielen Jahren arbeite ich als Journalistin, Redakteurin, Web- und Werbetexterin. In meiner Textwerkstatt Küstenkind kreiere ich mit Leidenschaft, Feingefühl und Kompetenz Werbe-, Web- und Pressetexte, Blog-Beiträge und Bücher. Menschen und außergewöhnliche Orte faszinieren und inspirieren mich dabei – Immer auf der Suche nach neuen Geschichten und spannenden Projekten.